Versorgung Herzkranker in Deutschland: Gut, aber nicht optimal
Deutsches Ärzteblatt, 29.09.2023, Seite A-1560
Der von der Deutschen Herzstiftung und den Fachgesellschaften herausgegebene Deutsche Herzbericht 2022 zeigt, dass trotz positivem Trend die Sterblichkeit an Herzerkrankungen weiterhin hoch ist.
Grundsätzlich ist die Deutsche Herzstiftung zufrieden: Die Entwicklung bezüglich der Herzgesundheit der Deutschen gehe in richtige Richtung, sagte Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung, bei der Vorstellung des Herzberichts 2022 in Berlin. Diesen übergab die Herzstiftung am 21. September gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Fachgesellschaften für Kardiologie (DGK), für Herzchirurgie (DGTHG), für Pädiatrische Kardiologie und Angeborene Herzfehler (DGPK) sowie für Prävention und kardiovaskuläre Rehabilitation (DGPR) an Sabine Dittmar (SPD), parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium.
Sinkende KHK-Sterblichkeit
Seit 2011 sinkt in Deutschland dieSterblichkeit an Koronarer Herzkrankheit (KHK). Zurückzuführen sei der anhaltende positive Trend auf Verbesserungen der präventiven, rehabilitativen und therapeutischen Maßnahmen. Dazu gehörten beispielsweise die Stent-Therapie bei akutem Myokardinfarkt, verbesserte Medikamente und Abläufe in der Rettungskette und ebenso eine bessere Kenntnis der Risikofaktoren für KHK und Herzinfarkt, heißt es im Herzbericht.
Die Daten dürften aber nicht den Blick dafür verstellen, dass Herzerkrankungen immer noch die häufigsten Gründe für stationäre Behandlungen seien und die KHK auch nach wie vor die häufigste Todesursache in Deutschland, mahnt Voigtländer. Dies sei versorgungspolitisch relevant und müsse bei der Planung der Krankenhauslandschaft berücksichtigt werden. Dabei verwies er auch auf die demografische Entwicklung mit einem zunehmenden Anteil von Menschen über 65 Jahre. „2030 wird das nahezu jeder Vierte sein“, mahnte er. Mitgedacht werden müssten Extremwetterlagen mit Hitzewellen und der Fachkräftemangel im Krankenhauswesen. „Es muss der Politik gelingen, besonders den vulnerablen Gruppen, wie Kindern und schwer herzkranken Menschen, auch in Krisenzeiten Zugang zur stationären Behandlung zu gewährleisten“, so Voigtländer.
Der aktuelle Herzbericht zeigt auch diesmal: Von den häufigsten Todesursachen im Berichtsjahr 2021 sind viele auf kardiale Erkrankungen zurückzuführen (Kasten). Konkret lag dem Bericht zufolge im Jahr 2021 die Sterberate an KHK bei 129,7 Gestorbenen pro 100 000 Einwohner und beim Herzinfarkt bei 48,1 Gestorbenen pro 100 000 Einwohner. Auffällig ist, dass im Berichtsjahr 2021 mehr Menschen in Deutschland an Herzinsuffizienz starben als im Vorjahr (2021: 35 131 Verstorbene; 2020: 34 855). Dies könne mit der COVID-19-Pandemie als neu hinzugekommene Todesursache zu tun haben, vermutet Voigtländer. Denn insbesondere ältere Personen seien an COVID-19 gestorben. „Alle Personen mit dieser Todesursache hätten, wären sie im Jahr vorher verstorben, eine andere Todesursache gehabt – und viele dieser Personen hätten vermutlich eine kardiovaskuläre Todesursache“, so der Kardiologe.
Erklären lässt sich mit der Pandemie auch die deutliche Abnahme der Krankenhausaufnahmen wegen Herzerkrankungen im Jahr 2021 gegenüber 2019. Bei der KHK sank die Zahl der Krankenhausaufnahmen sogar um 14,6 Prozent, bei Herzklappenkrankheiten um 8,5 Prozent, bei Herzrhythmusstörungen um 10,4 Prozent, bei Herzinsuffizienz um 12,8 Prozent und bei den angeborenen Fehlbildungen um 9,0 Prozent. „Ein Auslöser für diese Abnahme stationärer Krankenhausaufnahmen dürfte die wegen der Pandemie häufiger gemiedene Hospitalisierung gewesen sein“, so Voigtländer. Hinzu komme, dass auch im Jahr 2021 Kliniken ihre Aufnahmen zeitweise auf Notfälle beschränken mussten, um Kapazitäten für Corona-Intensivpatienten freizuhalten. Auch elektive operative Eingriffe seien 2021 weniger häufig durchgeführt worden. „Zwar verfügt Deutschland über medizinische Versorgungsstrukturen, die auch während der Pandemie funktionierten. Aber das Herunterfahren von Diagnostik und Therapie setzte die Versorgung in Kliniken und Ambulanzen stark unter Druck – auch die herzmedizinische“, betont der Herzstiftungsvorsitzende. Wie sich diese reduzierte Versorgung in den nächsten Jahren auswirken werde, bedürfe wissenschaftlicher Analysen.
Rhythmusstörungen im Fokus
Der Deutsche Herzbericht 2022 zeigt auch einige besorgniserregende Trends: So steige – im Unterschied zu KHK und Herzinsuffizienz – die Mortalität durch Herzrhythmusstörungen und Herzklappenerkrankungen seit 2011 tendenziell an, mahnen die Autorinnen und Autoren (Grafik).
Konkret erhöhte sich die Zahl der Todesfälle durch Rhythmusstörungen von 27 369 (2020) auf 28 219 im Jahr 2021 (Sterberate 2020: 28,1 pro 100 000 Einwohner; 2021: 28,5). An Herzklappenerkrankungen starben dem aktuellen Bericht zufolge 19 872 Menschen im Jahr 2020 verglichen mit 20 453 im Jahr 2021. Mit dem Beginn der COVID-19-Pandemie sei aber ein Plateau erreicht, so Voigtländer. Als mögliche Gründe für die Stabilisierung sieht er verbesserte Therapien an, beispielsweise der Aortenklappenstenose – sowohl chirurgisch als auch mithilfe katheterbasierter Verfahren wie TAVI. „Bei Patientinnen und Patienten, die sich einer Herzoperation an der Aorten- oder Mitralklappe unterziehen und bei denen Vorhofflimmern besteht, kann und sollte bei diesen Operationen begleitend eine Ablationstherapie durchgeführt werden. Auch das linke Vorhofohr kann in der Regel im selben Eingriff ohne nennenswertes Risiko verschlossen werden“, betonte Prof. Dr. med. Volkmar Falk, Präsident der DGTHG.
Herzrhythmusstörungen müssten auch bei Patientinnen und Patienten mit einem angeborenen Herzfehler (AHF) besser im Blick behalten werden, forderte Prof. Dr. med. Ulrike Herberg, Präsidentin Elect der DGPK. Im Langzeitverlauf seien bei diesen Erwachsenen mit AHF zunehmend Komplikationen zu beobachten.
Die Herzrhythmusstörungen stellten die Herzstiftung und die Fachgesellschaften in diesem Herzbericht besonders in den Fokus. Sie seien in Deutschland neben der Herzinsuffizienz und der KHK die häufigste Ursache für eine vollstationäre Krankenhausaufnahme und verursachten für das Gesundheitswesen enorme Kosten, erläuterte Prof. Dr. med. Holger Thiele, Präsident der DGK. Um Patientinnen und Patienten mit einem hohen Risiko für lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen vor einen plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand zu schützen, könnten zwar Defibrillatoren prophylaktisch implantiert werden, so der Kardiologe. Doch die Überlebenschancen der meisten Betroffenen hänge wesentlich davon ab, wie schnell und gut erste Maßnahmen zur Wiederbelebung eingeleitet würden. Und diesbezüglich gebe es in Deutschland deutlichen Nachholbedarf.
Laienreanimation ausbaufähig
„Es scheuen sich noch immer viele Menschen, im Notfall mit einer Herzdruckmassage zu beginnen“, kritisierte er. Im europäischen Vergleich liege Deutschland diesbezüglich im hinteren Drittel. „Wir sollten uns an den gut funktionierenden Maßnahmen in den anderen Ländern orientieren“, so der DGK-Präsident. Reanimationsunterricht in Schulen, verpflichtende Telefonreanimations-Anleitung für Rettungsstellen und die flächendeckende Einführung von App-basierten Ersthelfersystemen wären Lösungsansätze.
Herzrhythmusstörungen und auch der plötzliche Herztod entstünden überwiegend durch Herzerkrankungen und die Risikofaktoren, die alle einer primären, sekundären und tertiären Prävention zugänglich seien, betonte Prof. Dr. med. Eike Langheim, Präsident der DGPR. Aber auch hier würden Potenziale verschenkt. Doch von den 1,6 Millionen stationären kardiologischen Krankheitsfällen, die der Herzbericht beschreibe, hätten 2021 nicht einmal 100 000 Fälle eine stationäre oder ambulante Rehabilitation erreicht. Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Häufigste Todesursachen 2021
Der Deutsche Herzbericht 2022 zeigt: Die Sterbefälle in Deutschland gehen nach wie vor auf viele kardial bedingte Todesursachen zurück.
Dies waren auf Grundlage von Daten des Statistischen Bundesamtes 2023 im Jahr 2021 die zehn häufigsten Todesursachen nach ICD-10:
1. Chronische ischämische Herzkrankheit
2. COVID-19
3. Demenz
4. Herzinfarkt
5. Lungen- und Bronchialkarzinom
6. Herzinsuffizienz
7. Chronische obstruktive Lungenkrankheit
8. Sonstige
9. Hypertensive Herzkrankheit
10. Vorhofflimmern und Vorhofflattern
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