Neue Kraft fürs Herz mit einem Pflaster aus Herzmuskelzellen
Ärzte Zeitung online, 24.03.2023
Thomas Meißner
Eine völlig neue Art der Herzinsuffizienztherapie wird derzeit in Deutschland geprüft: Schwer herzinsuffiziente Patientinnen und Patienten erhalten ein Gewebepflaster aus Herzmuskelzellen. Es soll das Herz kräftigen und seine Kontraktilität verbessern.
Lassen sich mit künstlich hergestelltem Herzmuskelgewebe schwer insuffiziente Herzen wieder so kräftigen, dass eine Herztransplantation oder Herzunterstützungssysteme unnötig werden?
Zu diesem potenziell neuen Therapieprinzip ist in Deutschland eine weltweit bislang einmalige klinische Studie angelaufen: Mehr als 50 Patientinnen und Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz (linksventrikuläre Ejektionsfraktion 35 Prozent) werden voraussichtlich bis Ende 2024 ein „Herzpflaster“ auf die linke Herzkammer genäht bekommen. Bereits Ende dieses Jahres werden erste Zwischenergebnisse der klinischen Phase-I/II-Studie BioVAT-HF erwartet.
Herstellung aus pluripotenten Stammzellen
Das etwa 100 cm2 große Gewebepflaster aus Herzmuskelzellen (Engineered Heart Muscle – EHM) wird aus pluripotenten Stammzellen vom Menschen hergestellt. Dies dauert etwa drei Monate.
Die Implantation in der Herzchirurgie erfolgt am schlagenden Herzen per linkslateraler Thorakotomie, einem kleinen Interkostalschnitt unterhalb der linken Brustwarze wie er auch bei minimal-invasiver Bypass-Chirurgie angewendet wird. Das heißt, das Brustbein muss nicht durchtrennt, der Thorax nicht weit eröffnet werden und der Einsatz der Herz-Lungen-Maschine erübrigt sich.
Nach der Gewebetransplantation benötigen die Patienten eine Immunsuppression. „Mit klinisch objektivierbaren Effekten rechnet man nach drei bis sechs Monaten“, erklärt Professor Wolfram-Hubertus Zimmermann von der Universitätsmedizin Göttingen im Gespräch mit der Ärzte Zeitung.
Zimmermann forscht seit 1995 zu diesem Therapieprinzip und leitet gemeinsam mit Professor Tim Seidler, ebenfalls Uni Göttingen, die klinische Studie. Die Patienten werden an den Universitätskliniken Göttingen und Lübeck aufgenommen.
Langer Weg bis zur Prüfung am Menschen
Der Weg bis hin zur Prüfung am Menschen war lang. Das lag keineswegs nur an der komplexen wissenschaftlichen Materie. „Regulatorisch gab es in diesem Bereich in Deutschland keine Erfahrungen“, sagt Wolfram-Hubertus Zimmermann im Gespräch.
In enger Abstimmung mit der zuständigen Bundesoberbehörde, dem Paul-Ehrlich-Institut, wurde der Weg der aus „induzierten pluripotenten Stammzellen“ hergestellten Herzpflaster beschrieben.
Die induzierten pluripotenten Stammzellen, hergestellt im Auftrag der amerikanischen Gesundheitsbehörde (National Institutes of Health, NIH), wurden im Einklang mit dem Arzneimittelgesetz als Masterzellbank aus den USA importiert, um daraus in Deutschland ein medizinisches Prüfpräparat herzustellen. Bis heute sei diese die einzige für die klinische Anwendung in Deutschland zugelassene pluripotente Stammzelllinie, so Zimmermann.
Alle für die Herstellung des Medizinprodukts notwendigen Bestandteile, Kulturmedien oder Zusätze müssen darüber hinaus gemäß Arzneimittelgesetz geprüft sein. Und er legt Wert auf die Tatsache, dass keine Stammzellen, sondern ausschließlich Herzmuskelgewebe implantiert wird. Das ist gerade vor dem Hintergrund des gefürchteten Risikos maligner Entartung pluripotenter Stammzellen wichtig.
Hergestellt wird das Herzmuskelgewebe im Labor auf etwa 4 x 4 cm großen dreidimensionalen Kunststoffstempeln in Teflon-Gussformen. Es handelt sich um eine Zellmischung, die etwa zur Hälfte aus Herzmuskel- und zur Hälfte aus Bindegewebszellen besteht, eingebettet in ein Hydrogel aus bovinem Typ-I-Kollagen.
Zimmermann: „Myozyten alleine würden kein Herzmuskelgewebe bilden. Wir haben schon vor 20 Jahren beobachtet, dass sie die Nichtmuskelzellen brauchen.“ Die Zellen organisieren sich in der Kultur zum Herzmuskelgewebe. Dieses hat bereits elektrische Eigenaktivität und beginnt sich spontan zu kontrahieren.
Implantat wird auf den linken Ventrikel genäht
Im Operationssaal werden bis zu 20 dieser einzelnen Gewebestücke zu einem großen Implantat zusammengesetzt und danach auf den linken Ventrikel genäht. Künftig sollen von vornherein größere Implantate hergestellt werden.
Frühere Versuche, die Zellen ins Herz zu injizieren, haben sich in Tierexperimenten als nicht erfolgversprechend erwiesen: Über 90 Prozent der injizierten Zellen gingen durch den Abschwemmeffekt verloren. Außerdem wurden bei Injektion von Herzmuskelzellen regelhaft Herzrhythmusstörungen induziert.
„Wir gehen davon aus, dass wir 800 Millionen bis eine Milliarde Herzmuskelzellen brauchen, um einen Muskeldefekt bei Herzmuskelschwäche reparieren zu können“, sagt Zimmermann. „Wenn davon mehr als 90 Prozent verloren gingen, könnten wir das gar nicht realisieren.“
Nach Implantation der Zellen als Gewebepflaster scheinen dagegen keine Zellen verloren zu gehen, wie unter anderem aus Experimenten bei Affen hervorgeht. Im Gegenteil: Wie gewünscht nimmt über die Zeit die Muskelmasse zu. Und: Trotz der elektrischen Eigenaktivität des Implantats waren keine Herzrhythmusstörungen zu beobachten – dies hat sich bei den bislang zehn operierten Patienten bestätigt.
Zimmermann: „Wir erklären uns die elektrische Synchronisation des Implantates mit einer mechanoelektrischen Kopplung: Das Herz schlägt, wodurch das Implantat im Rhythmus des Herzens konditioniert wird.“ Aus Laboruntersuchungen sei bekannt, dass bei rhythmischer mechanischer Zugbelastung des Herzmuskelgewebes dieses den Rhythmus beibehalten kann. Der „externe“ mechanische Reiz des körpereigenen Herzens, auf den das Gewebepflaster aufgenäht ist, stimuliert und synchronisiert offenbar das neu implantierte Gewebe.
Wesentliches Einschlusskriterium der gerade laufenden klinischen Studie ist eine hypokinetische Herzwand. Die Herzinsuffizienz-Patienten mit reduzierter Ejektionsfraktion 35% (HFrEF) haben in der Regel eine koronare Herzkrankheit, häufig gab es einen Herzinfarkt in der Vergangenheit.
Zurück bleibt minderkontraktiles Narbengewebe. Genau auf diese Region wird das Gewebepflaster genäht – in Zukunft soll dies auch am rechten Ventrikel praktiziert werden, wenn dort eine verminderte Kontraktilität vorliegt. Diese Anwendung würde parallel zu geplanten Operationen am Herzen mit Sternotomie durchgeführt werden können.
„Wir implantieren aktuell nicht bei Patienten, die noch eine Revaskularisation, zum Beispiel eine Bypass-Operation, benötigen. Wir glauben aber, in Zukunft das Indikationsspektrum erweitern zu können“, sagt Zimmermann – vorausgesetzt, die Proof-of-Concept-Studie verläuft erfolgreich.
Kandidaten für Herztransplantation werden behandelt
„Patienten der BioVAT-HF Studie sind in der Regel Kandidaten für eine Herztransplantation oder für die Implantation eines Herzunterstützungssystems. Unser Ziel ist es, mechanische Herzunterstützungssysteme und schlussendlich auch Herztransplantationen so weit wie möglich vermeiden zu können oder im besten Fall sogar unnötig zu machen.“
Denkbar sei es, das Herzpflaster bereits bei weniger stark eingeschränkter Herzinsuffizienz zu implantieren. Ob dann weniger große Herzpflaster erforderlich sind und damit weniger Zellen pro Patient hergestellt werden müssen, ist eine Frage, die mit weiteren Studien noch beantwortet werden muss.
Geklärt werden soll außerdem, ob in Zukunft über genetische Manipulation hergestellte hypoimmunogene Herzpflaster die derzeit erforderliche Immunsuppression mit Methylprednisolon und Tacrolimus abgelöst werden kann. Zimmermann hält dies für möglich, betont aber, dass die Grundlage für eine solche Entwicklung der Wirknachweis der aktuell nicht genetisch manipulierten Herzpflaster sei. Denn auch die Anwendung hypoimmunogener Implantate sei nicht frei von potenziellen Risiken wie zum Beispiel der malignen Entartung.
Im Moment entspricht die Dosis der Immunsuppression in etwa dem, was Patientinnen und Patienten mit rheumatischen Erkrankungen regelmäßig einnehmen. Sie ist damit weit weniger belastend als die immunsuppressive Behandlung nach einer Herztransplantation.
Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass kein vaskularisiertes Gewebe implantiert wird – die körpereigene Vaskularisierung erfolgt nach der Implantation, begleitet vom Zellwachstum. Mit dem Monitoring der fremden Implantat-DNA im Blut lässt sich außerdem auch prüfen, ob das Implantat abgestoßen wird – auch daran lässt sich die Dosis der Immunsuppressiva anpassen.
Was sind (induzierte) pluripotente Stammzellen?
Funktion: Pluripotente Stammzellen sind in der Lage, alle Zellen des Organismus zu bilden.
Herkunft: In vivo finden sich pluripotente Stammzellen lediglich im Inneren der Blastozyste. In vitro ist es seit einigen Jahren allerdings möglich, verschiedene somatische Zellen, zum Beispiel Fibroblasten oder auch bestimmte Blutzellen, zu reprogrammieren, so dass aus ihnen wieder pluripotente Stammzellen (PSZ) werden. Diese Zellen werden dann induzierte pluripotente Stammzellen (iPSZ) genannt.
Besonderheit: Induzierte pluripotente Stammzellen besitzen die Fähigkeit zur unbegrenzten Zellteilung und haben das Potential, sich in alle drei Keimblätter (Ektoderm, Mesoderm, Endoderm) zu differenzieren.
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